Die Bedeutung von Selen für das Pferd

Wir starten eine Miniserie zum Thema Selen. In diesem Teil 1/2 beschäftigen wir uns mit der Funktion des Spurenelement Selen und den Themen Selenmangel und Selenüberschuss. Teil 2 widmet sich den daraus resultierenden Krankheiten, diesen findest du hier.

Geschrieben von Dr. med. vet. Monika Schillmeier

Selen – Mangel versus Überversorgung

Welcher Pferdebesitzer kennt sie nicht, die Diskussion über Selenmangel oder Überdosierung. Selen gehört zu den Spurenelementen. Jenen Elementen also, die in kleinsten Mengen, so genannten Spuren, vorkommen – im Sonnensystem, in Gesteinen oder Gewässern unseres Planeten und auch in menschlichen oder tierischen Organismen.

Funktion des Spurenelements Selen

Wie alle Spurenelemente muss das Pferd Selen über die Nahrung aufnehmen, da der Körper dieses Element nicht selbst bilden kann. Im Organismus des Pferdes übernimmt Selen vornehmlich als Bestandteil von Enzymen wichtige Funktionen. So sind selenabhängige Enzyme wichtig für eine störungsfreie Funktion von Bauchspeicheldrüse, Niere und Leber und der verschiedenen Hormondrüsen. Die Aktivierung des Enzyms Iodthyronin-Dejodase ist beispielsweise nötig zur Aktivierung und Umwandlung des Schilddrüsenhormons T4. Durch die die Aktivierung der Glutathion-Peroxidase (GSH-Px) wird die Zellmembran gegen freie Radikale (aggressive Sauerstoff-Formen) geschützt, die als Stoffwechselprodukte oder bedingt durch Strahlungen und Umweltgifte im Körper gebildet werden. Nach neueren Untersuchungen spielt GSH-Px auch in der Immunabwehr gegen Virusinfektionen und der Immunreaktion gegen Tumore eine Rolle. Das heißt, Selen stärkt (in Kombination mit Vitamin E) auch das Immunsystem. Ebenso spielt Selen eine Rolle bei der Thioredoxin-Reduktase, die an der Proteinbiosynthese (der „korrekten“ Faltung von neu zu bildenden Proteinen) und an verschiedenen Stoffwechselreaktionen beteiligt ist. Sie ist unabdingbar für die Aktivierung unterschiedlicher Proteine im Blutplasma, im Nierenparenchym und in den Herz- und Skelettmuskeln. In Kombination mit Vitamin E hat Selen bei Sportpferden eine muskelschützende Wirkung.

Selen ist für den Pferde-Organismus essentiell. Allerdings eben nur in Spuren bzw. in einem genau austarierten Maß. Ein Zuviel an Selen ist ebenso schädlich wie ein Zuwenig.

Selenmangel

Selenmangel gilt in der Pferdewelt als weitverbreitetes Problem. Die Auswirkungen sind vielfältig. Erste Anzeichen sind meist steife Bewegungen (der Hinterhand) aufgrund von Störungen und Veränderungen der Skelettmuskulatur und auch die Herzmuskulatur kann angegriffen sein. Leistungsschwäche und Schwächung der körpereigenen Abwehrkräfte, also höhere Anfälligkeit gegenüber Infekten, kommen hinzu, ebenso wie Fehlfunktionen der Schilddrüse. Bei Zuchttieren zeigt sich zudem eine verminderte Fruchtbarkeit. Hat die Mutterstute einen zu niedrigen Selenspiegel, zeigt sich das bei dem Fohlen in einer schwachen, blassen Muskulatur und gelben Fetteinlagerungen. Drastischer Selenmangel führt zu Lähmungserscheinungen der Herz- und Schlundmuskulatur und damit zum Versterben des Fohlens.

Selenmangel ist oft verbunden mit einem Zinkmangel bzw. kann aus einem solchen resultieren. Wird mehr Zink gegeben, erhöht sich oft auch der Selenspiegel. Ähnlich verhält es sich mit Mangan, was den Schluss zulässt, dass Selen im Stoffwechsel des Pferdes offenbar dem Zink bzw. Mangan folgt. Auskunft über diese Werte kann ein Blutbild geben. Die Gesamtkonzentration im Serum oder Plasma ist jedoch kein hundertprozentig verlässlicher Indikator, aussagekräftiger sind die Werte im Gewebe, da Selen vor allem hier aktiv ist. Auch die Enzymaktivität der Glutathionperoxidase (GPx) im Vollblut lässt Schlüsse auf den Versorgungsstatus zu.

Allerdings herrscht keine echte Einigkeit über die Werte, die einen Selenmangel definieren: Während die Grenzwerte bei klinisch gesunden Pferden nach realen Messungen zwischen 50 und 60µg/l liegen und sogar 28µg/l als im Normalbereich liegend angeführt wird, verwenden die meisten deutschen Labore heute Grenzwerte von 100 bis 200µg/l, bzw. mit leichter Anpassung nach unten 70-170 µg/l.

Selenmangel beim Pferd ausgleichen

Der Selen-Tagesbedarf eines erwachsenen Pferdes liegt in der Regel zwischen 0,1 bis 0,2 mg pro Kilogramm Futtertockensubstanz. In den meisten Teilen Deutschlands sind die Böden jedoch eher selenarm. Zudem nehmen Pflanzen Selen ganz unterschiedlich oder gleich gar nicht aus dem Boden auf. Das bedeutet, dass Pferde nur den kleinsten Teil der empfohlenen Menge über das Grundfutter – in diesem Fall über das Gras (bei Heu liegt der Selengehalt fast ausschließlich unter der Nachweisgrenze) – aufnehmen können.  

Selenmangel muss daher durch die Gabe von selenhaltigen Futtermitteln über einen Zeitraum von einigen Wochen bis zu mehreren Monaten ausgeglichen werden. In der Regel folgt auf eine tägliche Gabe eine Intervallfütterung. Entscheidend bei der Auswahl der verschiedenen physiologisch wirksamen Selen-Verbindungen ist die Bioverfügbarkeit in den Zielorganen. Generell werden organische Selenverbindungen wie Selenmethionin oder Selencystein, die aus Selenhefekulturen gewonnen werden, besser verwertet und sind verträglicher als anorganische Verbindungen, wie Natriumselenit oder Natriumselenat, stehen aber im Verdacht, sich aufgrund der schlechteren Ausscheidungsfähigkeit eher im Pferdekörper anzureichern und damit zu Selenvergiftungen beizutragen.

Selenüberschuss

Es gibt eine Reihe von Situationen, in denen aus physiologischen und pathologischen Gründen ein Mehrbedarf an Selen auftritt. Physiologische Gründe können selenarmes Grundfutter, eine Wachstumsphase oder der Alterungsprozess sein, ebenso wie der Deckeinsatz, Trächtigkeit und die frühe Laktation, hohe Beanspruchung und Stress. Zu den pathologischen Gründen zählen neben ausgewiesenem Selenmangel, der auch die Symptome chronischer Erkrankungen verstärken kann, unter anderem Infektionen der Haut- und Atemwege, Tumorerkrankungen, Schilddrüsenunterfunktion, Kreuzverschlag, das Equine metabolische Syndrom (EMS), Cushing (ECS) und die Polysaccharid-Speicher-Myopathie (PSSM).

Der Selenspiegel muss in diesen Fällen gehoben werden. Allerdings ist hierbei höchste Vorsicht geboten, da der Grat zwischen Nutzen und Schaden ausgesprochen schmal ist und auch eine Überdosierung schwerwiegende Folgen für das Pferd haben kann.

Eine schleichende Überdosierung kann zu Stoffwechselstörungen führen, weil Selen unterschiedlich aufgenommen wird. Das heißt, dass z.B. im Gewebe bereits eine Überdosierung vorliegen kann, während im Blutplasma Normalwerte oder gar ein Mangel herrschen. Deswegen sind Blutwerte in der Diagnostik auch nur einigermaßen verlässlich, da sie nicht zwingend etwas über den Selengehalt des Gewebes aussagen. Da die Entsorgung durch Kot und Urin nur in geringem Maß möglich ist, nimmt das Ungleichgewicht bei steter Zuführung von Selen zu und die gesättigten Gewebe nehmen Schaden, weil beispielsweise vermehrt Selenproteine gebildet werden, die das Selen in unschädlicher Form speichern sollen.

Wird Selen kurweise, also während eines begrenzten Zeitraums, gegeben, baut der Organismus das überschüssige Selen nach Aussetzen der Gabe wieder ab. Gefahr geht daher in erster Linie von langfristigen Gaben aus, vor allem, wenn verschiedene Zusatzfuttermittel und Mineralfutter gegeben werden, deren Selengehalt sich erst durch genaue Lektüre der Inhaltsstoffe erschließt.

Toxische Reaktionen können auftreten, wenn ein Pferd dauerhaft mehr als 2 mg Selen pro Kilogramm Futtertrockenmasse pro Tag (bei 10 kg Tagesfutterration eines durchschnittlichen Pferdes sind das über 20 mg Selen) aufnimmt. Die Symptome eines Selenüberschusses sind vielseitig. Sie umfassen unspezifische Symptome, wie einen schlechten Allgemeinzustand, Gewichtsverlust, Durchfall und Kolik. Auch ein steifer Gang bzw. eine unspezifische Lahmheit, Muskelschwäche und -schmerzen, Haarverlust (vor allem der Mähnen- und Schweifhaare) und Veränderungen des Hufhorns (Hufringe, hohle Wände, Auftreibungen des Kronrands bis zum Ausschuhen) bis hin zu Hufgeschwüren und Hufrehe können die Folge sein. In einigen Fällen kann es auch zu Sehstörungen bis hin zur Erblindung kommen.

Eine akute Selenvergiftung (bei einer oralen Aufnahme von 3,3mg Selen pro kg Körpergewicht), die in Deutschland auf Grund der geltenden futtermittelrechtlichen Beschränkungen des Selengehaltes zwar unwahrscheinlich aber möglich ist, führt zu Kollaps und Tod durch Herzinsuffizienz.

Fazit: Selen ist wichtig, doch die Dosis ist bei diesem Element ganz entscheidend. Ziehe bei Zweifeln unbedingt deinen Tierarzt zu Rate.

Das war Teil 1 von 2 zum Thema Selen und das Pferd. In Teil 2 von 2 beschäftigen wir uns mit den Krankheiten, die Selenmangel oder -überschuss verursachen können.